Jörg Bohlen - The personal webpage

In den Gewässern Nordamerikas gibt es eine ganze Reihe von endemischen Fischfamilien, die keine Entsprechung innerhalb der europäischen Fischfauna haben, wie zum Beispiel die Sonnenbarsche (Centrachidae) oder die Zwergschwarzbarsche (Elassomatidae). Zu diesen endemischen Familien gehören auch die Piratenbarsche, Aphredoderidae, mit nur einer Gattung und Art: dem Piratenbarsch Aphredoderus sayanus (Abb. 1). Er steht den (ebenfalls endemisch nordamerikanischen) Ambliopsidae (Höhlenfischen) nahe, mit denen er sich einige anatomische Besonderheiten teilt. Die auffälligste Gemeinsamkeit ist die Position des Afters, der sich bei adulten Fischen nicht nahe der danach benannten Afterflosse befindet, sonder an der Kehle zwischen den unteren Rändern der Kiemendeckel (Abb. 2). Bei jungen Piratenbarschen von 2 cm Länge befindet sich der After noch an der „richtigen“ Position, doch mit fortschreitendem Wachstum wandert er immer weiter nach vorne, bis er bei adulten Exemplaren die Position an der Kehle einnimmt.

Aphredoderus1 Der Piratenbarsch, Aphredoderus sayanus, ist die einzige Art in der Familie Aphredoderidae, eine der endemischen Familien von Suesswasserfischen in nordamerika.

 

 

 

 

Piratenbarsche haben ein weites Verbreitungsgebiet, das sich in den Niederungen von New York entlang der Atlantikküste und der Golfküste und hinauf ins Mississippigebiet erstreckt. Bewohnt werden stehende oder schwach fliessende Bäche, Tümpel oder Flussufer mit dichter Vegetation oder anderen Versteckmöglichkeiten, z.B. dicken Blätterschichten oder Wurzelwerk (Abb. 3). In diesen Gewässern findet man oft eine Vielzahl anderer, teilweise bei Aquarianern bekanntere Fischarten, z.B. Arten der Gattungen Elassoma, Centrarchus oder Enneacanthus. Aufgrund ihrer versteckliebenden Lebensweise gelten Piratenbarsche in manchen Gegenden als selten oder schwer zu fangen. Oft liegt es aber nur an der verwendeten Methode (z.B. die in USA beliebten ‚minnow seines‘), wenn Piratenbarsche schlecht erfasst werden. Zwei weitere nicht zutreffende Anekdoten über den Piratenbarsch betreffen sein Verhalten gegenüber Beckengenossen und sein Brutverhalten: kein Geringerer als Charles C. Abbott berichtete, dass A. sayanus sich im Aquarium extrem aggressiv verhält, Beckengenossen umbringt und mit seinem schwarzen Augenstreifen obendrein wie ein Pirat aussehe; dieser Bericht brachte dem Fisch den Namen Piratenbarsch ein. Das zweite Gerücht besagt, dass Piratenbarsche wie die Ambliopsidae Kiemenbrüter seien, d.h. die befruchteten Eier bis zum Schlupf in der Kiemenhöhle aufbewahren. Dieses Gerücht wurde durch erfolgreiche Aquarienzuchten widerlegt, demnach legt der Piratenbarsch seine klebefähigen Eier vielmehr in dichte Struktur, es gab sogar Anhaltspunkte für Nestbau und Pflege der Brut durch ein Elternteil.

Aphredoderus2 Ein interessantes Phanomen bei Piratenbarschen ist die Tatsache, dass der After bei adulten Tiere an der Kehle zu finden ist.

 

 

 

 

 

Im Aquarium ist der Piratenbarsch ein sehr ruhiger Vertreter, der eindeutig nachtaktiv ist. Die Hellstunden verbringen sie in einer Deckung, während sie in der Dunkelheit herauskommen und wie schwerelos knapp über den Grund dahinziehen. Piratenbarsche gleiten überaus vorsichtig und elegant durchs Becken, und stellen einen faszinierenden Anblick dar. Während des Gleitens stellt sich der Fisch meist ein wenig schräg mit den Kopf abwärts und sucht den Grund nach Fressbarem ab. Gefressen werden alle Lebend- oder Frostfuttermittel, wie Regenwürmer, rote Mückenlarven oder Fleischstückchen. Kleine Fische werden ebenfalls als Futter angesehen; gegenüber Fischen, die zu gross als Futter sind, gibt es keine Beachtung. Grosse Piratenbarsche sind etwas unfreundlich gegenüber kleineren Artgenossen, so dass das Becken nicht zu klein und mit ausreichend Versteckmöglichkeiten eingerichtete sein sollte und reichlich gefüttert werden sollte. Da die Weibchen grösser sind als die Männchen, kümmern sonst die Männchen.

Aufgrund ihrer zurückgezogenen Lebensweise hält man Piratenbarsche am besten im Artbecken. Ausserdem verhindert die nachtaktive Lebensweise sicher eine weite Verbreitung als Aquarienfisch, aber es handelt sich sicherlich um einen sehr ungewöhnlichen Fisch, und interessierte Aquarianer sollten eine Gelegenheit, den Fisch zu pflegen, wahrnehmen.

(Erschienen als Fischspot in Aquaristik Fachmagazin 172, Aug/Sept 2003, 29-30 und abgedruckt mit freundlicher Genehmigung von H.-J. Herrmann, Tetra-Verlag, Berlin)